Bemerkenswert

«Diesmal mussten wir Taten vollbringen», BZ, 18.11.

Belp, Das Kirchenasyl für zwei Flüchtlinge aus Eritrea ist be­endet. Für die Verantwortlichen ist klar: Sie konnten nicht anders handeln. Und sie haben sich mit ihrem Engagement nicht ausserhalb des Rechts bewegt.

Am Donnerstagmorgen um 8.30 Uhr in Belp. Rund 20 Personen haben sich zum Gebet in der reformierten Kirche versammelt. «Guter Gott, wir sind so dankbar», spricht Pfarrerin Michaela Schönberger in die Runde: «Bisher kannten wir deine alten Wundergeschichten aus der Bibel. Jetzt kennen wir eine neue. Und wir sind froh, dass wir daran einen kleinen Anteil haben.»

Seit dem 10. Oktober hatte die Kirche Freweyni Beyene und ihrem Sohn Nimerod Kirchenasyl gewährt. Damit wollte sie erreichen, dass die gemäss Gutachten traumatisierte eritreische Kleinfamilie nicht nach Italien ausgeschafft wird, wie es gemäss Dublin-Abkommen hätte passieren müssen. Stattdessen sollte sie in der Schweiz ein Asylgesuch stellen können.

So ist es auch gekommen. Diese Woche ordnete das Staatssekretariat für Migration (SEM) an, dass das Asylverfahren wieder aufgenommen wird. Laut Sprecherin Léa Wertheimer hat die «aktuelle Aktenlage» zum Entscheid geführt. Die Verantwortlichen der Kirche verstehen ihn als einen humanitären Akt.

Lob, aber auch Kritik

Nun geht für sie eine aufregende Zeit zu Ende, die in den Herbstferien begann. «Für mich stand sofort fest, dass wir helfen müssen», sagt Kirchgemeinderätin Esther Brunner. «Sonst wären wir als Kirche unglaubwürdig.» In der Kirche höre man immer schöne und gute Worte. «Diesmal mussten wir Taten vollbringen – obschon wir nicht wussten, was auf uns zukommt.»

Für ihr Engagement bekam die Kirche viel Lob. «99 Prozent der Reaktionen, die direkt zu uns ­gelangten, waren positiv», sagt Pfarrer Michel Wuillemin. Die Kirche bekam aber auch Kritik zu hören. Nicht nur in Internetforen, sondern auf dem Kirchplatz. Manche Leute fänden das Kirchenasyl grundsätzlich schlecht, sagt Pfarrer René Schaufelberger. «Andere haben grosse Mühe damit, dass wir als Kirche womöglich das Recht ritzen.»

«Ethische Motive»

Bei strenger Auslegung könne ein Kirchenasyl als gesetzeswidrig beurteilt werden, sagte in dieser Zeitung Pia Grossholz, Vizepräsidentin des Synodalrats der Reformierten Kirche Bern-Jura-Solothurn. Dennoch ist für sie ein ­Kirchenasyl vertretbar, da es aus «ehrenwerten ethischen Motiven» geschehe.

SEM-Sprecherin Wertheimer wies am Mittwoch darauf hin, dass asylsuchende Personen verpflichtet sind, sich den zuständigen Behörden zur Verfügung zu halten. «Es wäre entgegen den rechtsstaatlichen Prinzipien der Schweiz, wenn sich Asylsuchende durch ihr Unterkommen in einer Kirche den Behörden entziehen und so eine Wegweisung vereiteln könnten.»

So weit ist es in Belp nicht gekommen. Es war der Entscheid des kantonalen Amts für Migration und Personenstand, die Frist am 4. November verstreichen zu lassen. Polizeidirektor Hans-Jürg Käser (FDP) begründete dies mit der Suiziddrohung der Frau: «Falls etwas passiert wäre, hätte es Schuldzuweisungen an die Polizei gegeben.»

Das Recht «verfeinert»

Der Kirchgemeinde wurde dennoch vorgeworfen, sie handle ausserhalb des Rechts. Pfarrer Schaufelberger hat dazu eine klare Meinung: Mit ihrem Engagement habe sie sich gerade nicht in einem rechtsfreien Raum bewegt. «Dieser Begriff suggeriert Gewalt, Unterdrückung.» Solche Zustände gebe es in Gesellschaften, wo Banden oder die Mafia das Sagen habe.

«Aber bei uns sind die Behörden und die Justiz nicht zusammengebrochen, und wir respektieren diese Institutionen.» Im vorliegenden Einzelfall habe die Kirche die Behörden nur darauf aufmerksam gemacht, dass innerhalb dieses funktionierenden Systems in einer Ausnahmesituation womöglich etwas falsch gelaufen sei. «Damit haben wir das Recht verfeinert.»

Widerstand geleistet

Als einen «Akt der Menschlichkeit und Nächstenliebe» versteht Pfarrer Wuillemin das Kirchenasyl. «Es muss in einer Demokratie Instanzen geben, die den Staat an diese Werte erinnern.» Das könne Amnesty International sein oder eben die Kirche. «Deswegen müssen sich Politiker nicht infrage gestellt fühlen.»

Für Kirchgemeindepräsident Werner Zingg ist allerdings auch klar: Die Kirche hat Politik gemacht. Auch dafür wurde sie kritisiert. «Aber die gleichen Leute, die uns diesen Vorwurf machen, leisten heftig Widerstand, wenn beispielsweise ein Asylzentrum eröffnet wird.» Hier habe die Kirche auch Widerstand geleistet. «Dies erachteten wir als unseren christlichen Auftrag», sagt Zingg.

Ein neues Zuhause

Nach einer halben Stunde endet die Zusammenkunft in der Kirche. Die Teilnehmenden haben gebetet, gesungen, fünf Minuten geschwiegen. Und am Schluss je eine Kerze für die Flüchtlinge dieser Welt und für Freweyni und Nimerod Beyene angezündet.

Deren neues Zuhause ist seit Donnerstag das Asylzentrum Aeschiried. (Berner Zeitung)

(Erstellt: 18.11.2016, 06:16 Uhr, von Johannes Reichen)

Artikel

Stellungnahme der Nationalen Tagung „Kirchenasyl – Willkommen in der Kirche“ vom 5. Nov. 2016 in Zürich zum Kirchenasyl in Belp

Wir, die Teilnehmenden an der Nationalen Tagung „Kirchenasyl – Willkommen in der Kirche“ vom 5. Nov. 2016 in Zürich, organisiert von migrationscharta.ch unterstützen die Kirchgemeinde Belp-Belpberg-Toffen und deren Team, die Frau Freweyni Beyene aus Eritrea und ihrem achtjährigen Sohn Nimerod Robel seit dem 10. Oktober 2016 den Schutz des Kirchenasyls gewähren. Dieser Schutz ist nötig und gerechtfertigt. Mutter und Sohn stehen in grosser Gefahr, in eine Situation getrieben zu werden, die für beide lebensbedrohlich ist.

Ueli Corrodi, ehemals Chefarzt Psychiatrie eines bernischen Regionalen Spitalzentrums, ist gut über die Wegweisung dokumentiert und schreibt: „Ein Härtefall liegt (vor), indem die schwer traumatisierte Frau Beyene mit ihrer Ausschaffung nach Italien in eine katastrophale und existentiell akut lebensbedrohliche Situation gerät. Frau Beyene ist psychisch schwer krank und deshalb in besonderem Ausmass verletzt und verletzbar. Sie braucht den Schutz eines sicheren Umfeldes, das ihr in Italien nicht gewährt werden kann. Das Gleiche gilt für ihren Sohn, der des Schutzes in doppeltem Ausmass bedarf. (https://stoppdublin.wordpress.com/   abgerufen am 4. Nov. 2016)

 Trotz dieser Situation haben die bernischen Migrationsbehörden angekündigt, Frau Beyene und ihren Sohn gemäss der Dublin-III-Verordnung nach Italien auszuschaffen.

Wir können diese Absicht nicht gutheissen. Denn sie beruht auf einem formalistischen und abstrakten Rechts- und Gesetzesverständnis, das der konkreten Situation der Menschen keine Rechnung mehr trägt. Aufgrund der biblischen Überlieferung sind wir der Überzeugung, dass das Gesetz und sein Vollzug dem konkreten menschlichen Leben dienen muss. Andernfalls entsteht das, was früher so umschrieben wurde: summa lex maxima injustitia – absolut gesetztes Gesetz produziert höchstes Unrecht. Die Migrationsbehörden berufen sich zur Begründung ihrer Absicht auf die Rechtsstaatlichkeit, die im Falle des Verzichts auf die Ausschaffung unterwandert würde, auf eine einheitliche Rechtspraxis und die Gleichbehandlung der betroffenen Personen. Diese Grundsätze können niemals eine Rechtfertigung darstellen für die Verletzung der Würde bestimmter Menschen und die Missachtung elementarer Menschlichkeit. Recht verstandene Rechtsstaatlichkeit beruht auf Verfassungsprinzipien (in diesem Fall: Bundesverfassung, Art, 25,3: „Niemand darf in einen Staat ausgeschafft werden, in dem ihm Folter oder eine andere Art grausamer und unmenschlicher Behandlung oder Bestrafung droht.“).

Wir bitten die Migrationsbehörden, auf die geplante Ausschaffung zu verzichten und ein ordentliches Asylverfahren in der Schweiz zu ermöglichen. So kann für Frau Beyene und ihren Sohn am einfachsten eine sichere und geschützte Situation entstehen.

Zürich, 5. Nov. 2016

„Kirchenasyl: Mutter und Sohn werden nicht abgeschoben“, BZ, 16.11., 12h11

Belp: Der von der Kirchgemeinde Belp beherbergten Eritreerin Freweyni Beyene und ihrem achtjährigen Sohn drohte die Ausweisung nach Italien. Nun können sie doch noch in der Schweiz Asyl beantragen.

Die Kirchgemeinde Belp-Belpberg-Toffen gewährt der aus Eritrea geflüchteten Mutter Freweyni Beyene und ihrem 8-jährigen Sohn Nimerod seit Anfang Oktober Kirchenasyl. Der Kleinfamilie drohte die Ausschaffung nach Sizilien gemäss Dublin-Verordnung.

Am Dienstag nun bestätigte das Staatsekretariat für Migration die «Wiederaufnahme des Asylverfahrens». Dies teilte die Kirchgemeinde am Mittwoch mit. Damit kann die 29-jährige Frau eine neue Aufenthaltsbewilligung und einen Platz in einer Asylunterkunft in der Schweiz beantragen und bis zum definitiven Asylentscheid in der Schweiz bleiben. Mutter und Sohn «sind damit in Sicherheit», stellten die Kirchenvertreter fest.

Das vordringliche Anliegen des Kirchenasyls sei gewesen, zwei Menschen in schwerster Verzweiflung Zuflucht zu bieten, heisst es im Communiqué weiter. «Darin sehen wir einen ureigenen Auftrag der Kirche.» Das Kirchenasyl habe die Möglichkeit eröffnet, menschlich zu handeln und von einer Ausschaffung abzusehen.

Bereits in Italien registriert

Freweyni Beyene und ihr Sohn verliessen Eritrea im Oktober 2014. Ihr Weg führte sie über Libyen nach Italien in die Schweiz, wo sie im April 2015 ein Asylgesuch stellten. Aber das Staatssekretariat für Migration ging auf dieses Gesuch nicht ein. Die beiden wurden bereits in Italien registriert.

Die Schweiz konnte sich somit auf das Dubliner Abkommen berufen. Gemäss dem Abkommen muss ein Land auf ein Gesuch nicht eintreten, wenn bereits in einem anderen Mitgliedsstaat ein Asylverfahren läuft. Nachdem Beyene die wenigen Rechtsmittel ausgeschöpfte, folgte im Mai 2016 der definitive Wegweisungsentscheid.

Psychiatrische Untersuchungen ergaben, dass Beyene unter «posttraumatischen Belastungsstörungen» leidet. Sie gibt an, dass sie auf ihrer Flucht in Libyen vom IS gefangen genommen und gefoltert wurde.

In ihrem Beisein sollen Mitflüchtlinge hingerichtet worden sein. Auch ihr Sohn sprach gegenüber den Psychiatern von Enthauptungen und Steinigungen, welche er miterleben musste.

Das Schicksal der Kleinfamilie hatte viele Menschen bewegt. Mehr als 1000 Personen unterschrieben eine Petition, die eine Wiederaufnahme des Asylverfahrens forderte. (nik/sda)

„Kirchenasyl in Belp zeigt Wirkung“ Der Bund, 16.11.2016, 12:48

Das Kirchenasyl von Belp ist zu Ende. Die eritreische Mutter und ihr achtjähriger Sohn dürfen ihr Asylgesuch nun doch in der Schweiz stellen.

Die Kirche sei «von grosser Sorge um Mutter und Kind befreit und zuversichtlich, dass die beiden in der Schweiz nun Asyl erhalten werden», heisst es im Communiqué der Reformierten Kirche Belp-Belpberg-Toffen vom Mittwoch. Die Kleinfamilie wehrte sich gegen die Ausschaffung nach Italien gemäss Dublin-Abkommen.

Nach langem Hin und Her sei am Dienstag die gute Nachricht vom Staatssekretariat für Migration (SEM) eingetroffen, berichteten die Belper Kirchenvertreter: Mutter und Kind dürften nun doch ein Asylgesuch in der Schweiz stellen.

Die Kleinfamilie werde nun umgehend eine neue Aufenthaltsbewilligung und einen Platz in einer Schweizer Asylunterkunft beantragen. Mutter und Sohn «sind damit in Sicherheit», stellten die Kirchenvertreter fest.

Nach ihren Angaben hatten die Frau und ihr Sohn Eritrea im Oktober 2014 verlassen und sich auf die Suche nach dem Vater des Buben gemacht. Anstatt diesen Mann in Libyen zu finden, seien die beiden in Gefangenschaft des «Islamischen Staats» geraten und schwer gefoltert worden.

Sie seien psychisch schwer angeschlagen und bräuchten unbedingt weitere psychiatrische Behandlung, machten die Belper Kirchenleute geltend. In Italien sei fraglich, ob die Unterkunft familienwürdig wäre. Ab dem 10. Oktober fanden Mutter und Sohn Unterschlupf in Räumlichkeiten der Reformierten Kirche Belp-Belpberg-Toffen.

Das vordringliche Anliegen des Kirchenasyls sei gewesen, zwei Menschen in schwerster Verzweiflung Zuflucht zu bieten, heisst es im Communiqué vom Mittwoch. «Darin sehen wir einen ureigenen Auftrag der Kirche.» Das Kirchenasyl habe die Möglichkeit eröffnet, menschlich zu handeln und von einer Ausschaffung abzusehen. (gbl/sda)

Kirchenasyl beendet: Freta und Nimrod erhalten ein Asylgesuch in der Schweiz

Inland - Reformierte Kirche Belp

Pressemitteilung der Reformierten Kirche Belp-Belpberg-Toffen zur Beendigung des Kirchenasyls:

Die eritreische Mutter und ihr 8-jähriges Kind dürfen ihr Asylgesuch in der Schweiz stellen

Das Staatsekretariat für Migration bestätigte gestern die „Wiederaufnahme des Asylverfahrens“ von Freweyni Beyene und ihrem Sohn Nimerod in der Schweiz. Damit ist klar, dass das Dublin-Ausschaffungs-Verfahren gestoppt ist und die Betroffenen nun in der Schweiz ihr Asylgesuch stellen können. Das Pfarrteam der Reformierten Kirche Belp- Belpberg-Toffen und die Kirchgemeinde sind erleichtert und dankbar, dass die Schutzsuchenden nun hier bleiben können.

Gestern, am 15. November, teilte das Staatsekretariat für Migration (SEM) dem Rechtsvertreter der Familie vom Solidaritätsnetz Bern per Einschreiben mit, dass die Überstellungsfrist für das betreffende Dublin-Ausschaffungs-Verfahren endete und damit ein Asylverfahren in der Schweiz eingeleitet wird. Die Kleinfamilie wird nun noch heute Mittwoch eine neue Aufenthaltsbewilligung und einen Platz in einer Asylunterkunft in der Schweiz beantragen. Freweyni und Nimerod sind damit in Sicherheit und dürfen bis zum definitiven Asylentscheid in der Schweiz bleiben.

Die Kirchgemeinde gewährte der schwer traumatisierten Mutter und ihrem 8-jährigen Sohn seit dem 10. Oktober 2016 Kirchenasyl. Der eritreischen Kleinfamilie drohte die Ausschaffung nach Sizilien gemäss Dublin-Verordnung. Das Kirchenasyl war solange notwendig, bis eine Lösung für Mutter und Kind in der Schweiz möglich wurde. Mit der Wiederaufnahme des Asylverfahrens in der Schweiz ist dies nun gewährleistet. Von grosser Sorge um Mutter und Kind befreit, ist die Reformierte Kirche Belp-Belpberg-Toffen zuversichtlich, dass die beiden in der Schweiz nun Asyl erhalten werden.

Das vordringliche Anliegen des Kirchenasyls in Belp war, den beiden gefährdeten Menschen in schwerster Verzweiflung Zuflucht zu bieten. Darin sehen wir einen ureigenen Auftrag der Kirche, sich der Schutzlosen anzunehmen und für sie eine Anwaltsfunktion wahrzunehmen. Das Kirchenasyl eröffnete schlussendlich die Möglichkeit, in einer schwierigen Situation menschlich zu handeln und von einer Ausschaffung abzusehen. Wir erachten diese Aufgabe der Kirche in unserer Gesellschaft, im Verbund mit andern Organisationen und Institutionen, als sehr wichtig. Die Zusammenarbeit mit dem Solidaritätsnetz Bern war in dieser Hinsicht beispielhaft, wofür wir sehr dankbar sind. Ebenso wichtig war der Rückhalt beim Synodalrat unserer Kirche.

Die Kirchgemeinde und das Pfarrteam bedanken sich bei den zuständigen Behürden auf allen Ebenen für das gezeigte Verständnis. Wir anerkennen das Bemühen, den beiden Menschen in dieser schwierigen Situation im Rahmen und unter dem Druck der

gesetzlichen Vorgaben gerecht zu werden. Wir bedanken uns bei den Medien für ihre Berichterstattung, die zu einem sachlichen öffentlichen Diskurs beigetragen hat.

Ganz besonders danken wir allen hilfsbereiten Menschen aus der Kirchgemeinde und weit darüber hinaus für ihre Unterstützung und den grossen Zuspruch, den Freweyni und Nimerod in ihrem Schicksal erfahren durften. Auch jenen 1032 Menschen, deren Unterschriften unter die Petition wir bis gestern Abend erhalten haben.

Für das Pfarrteam der Reformierten Kirche Belp-Belpberg-Toffen,

Michel Wuillemin und René Schaufelberger

Für weitere Auskünfte stehen für das Pfarrteam der Kirchgemeinde Belp-Belpberg-Toffen gerne Pfarrer René Schaufelberger +41 79 273 32 30 oder Pfarrer Michel Wuillemin +41 79 453 20 38 und für das Solidaritätsnetz Bern Balz Oertli +41 31 991 39 29 zur Verfügung.

Mail-Adressen: rene.schaufelberger@refbelp.ch, michel.wuillemin@refbelp.ch, info@solidaritaetsnetzbern.ch

P.S. Die dieser Pressemitteilung beiliegenden Fotos der Familie stehen Medienschaffenden zur Verfügung.

Die Medienmitteilung der Kirche

Berner Zeitung vom 10.11.2016 „Knacknuss Kirchenasyl“

Belp: Der Kanton Bern wies eine eritreische Mutter und ihr Kind nicht vor Ablauf der Abschiebefrist nach Italien aus. Der Fall liegt nun beim Staatssekretariat für Migration.

Eine eritreische Mutter und ihr 8-jähriger Sohn hätten im Rahmen des Dublin-Abkommens die Schweiz bis letzten Freitagabend Richtung Sizilien verlassen müssen. Weil die Frau nach Aussagen ihres Arztes schwer traumatisiert und das Asylsystem in Italien laut Amnesty International stark überlastet ist, gewährte das Pfarrteam der Kirche Belp der Familie Kirchenasyl. Die Aktion war vorerst erfolgreich. Der Kanton Bern führte die Ausweisung vor Ablauf der Frist nicht durch.

Regierungsrat Hans-Jürg Käser lässt aber keine Zweifel aufkommen, dass seine zuständige Direktion weiterhin gewillt ist, die Kleinfamilie auszuschaffen. «Bei der Eritreerin handelt es sich um einen klaren Dublin-Fall. Daher halten wir an der Rückführung der Familie nach Italien fest», so der FDP-Regierungsrat. Auf die Frage, weshalb der Kanton die Rückführung nicht bereits letzten Freitag durchgesetzt hat, verweist er auf die Suiziddrohung der Frau. «Falls etwas passiert wäre, hätte es Schuldzuweisungen an die Polizei gegeben.»

Frist automatisch verlängert

Laut dem Staatssekretariat für Migration (SEM) ist eine Suiziddrohung aber kein Grund, eine Rückführung nicht durchzuführen. Und sie berechtigt auch nicht, eine Abschiebefrist zu verlängern. Gemäss Dublin-Abkommen gibt es lediglich zwei Wege, wieso eine Abschiebefrist verlängert werden kann: Die Person ist inhaftiert, oder sie ist flüchtig.

Letzteres hat der Kanton dem SEM höchstwahrscheinlich mitgeteilt. Ob die Eritreerin und ihr Sohn wirklich flüchtig sind, wird seitens der Migrationsbehörde gar nicht geprüft. Die Fristverlängerung geschieht automatisch: «Wenn die kantonalen Behörden uns mitteilen, eine Person sei am zugewiesenen Ort nicht mehr erreichbar, teilen wir dem zuständigen Dublin-Staat die Verlängerung mit», sagt SEM-Mediensprecherin Léa Wertheimer.

Das Dossier liegt nun wieder beim SEM. Die Rechtsvertreter der eritreischen Familie vom Solidaritätsnetz Bern haben bei der Behörde beantragt, dass sie das Asylgesuch erneut materiell prüfen. Der Kanton Bern dürfte den Entscheid des SEM auf diese Anfrage erst einmal abwarten. Dieser wird bereits in wenigen Tagen folgen. In der Zwischenzeit sammelt die Kirche Belp Unterschriften für eine Petition, die fordert, dass die Familie hierbleiben kann.

Studie belegt: Kirchenasyl verhindert staatliche Fehlentscheidungen

Pressemeldung vom 16. Februar 2015

Derzeit wird eine durch die Äußerungen von Innenminister Thomas de Maizière ausgelöste breite mediale Kontroverse um Kirchenasyl ausgetragen. Das an der Universität Osnabrück angesiedelte und von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderte Projekt »Proteste gegen Abschiebungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz (1993-2013)« unter der Leitung von Prof. Dr. Helen Schwenken vom Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien der Universität Osnabrück (IMIS) untersucht unter anderem die Protestform des Kirchenasyls.

In den letzten Jahren hat sich Kirchenasyl wieder als eine bedeutende Form des Protests gegen Abschiebungen etabliert. Wenn Innenminister de Maizière angesichts der 2014 erneut stark gestiegenen Zahlen an Kirchenasyl (203 Fälle im Vergleich zu 79 im Vorjahr) von einem Missbrauch spricht, den er als für die Verfassung zuständiger Innenminister ablehne, sei dies mit Blick auf die Zahlen wenig plausibel, so die Forscherinnen vom IMIS. Denn 2013 wurde in 95 Prozent der Kirchenasyle eine zuvor geplante Abschiebung nach erneuter Überprüfung der Fälle ausgesetzt. Von den 203 Fällen im Jahr 2014 waren 169 sogenannte Dublin-Fälle, das heißt, es geht um die Zuständigkeit der Prüfung von Asyl- und Schutzgesuchen, deren ordnungsgemäße Durchführung in Ländern wie Italien oder Griechenland oft nicht gewährleistet ist.

Die Leiterin des deutschen Forschungsteams, Prof. Dr. Helen Schwenken, interpretiert die Daten: »Dass fast alle Kirchenasyle für die Betroffenen positiv endeten, zeigt, dass mit Hilfe dieser Form des zivilen Ungehorsams staatliche Fehlentscheidungen, die die Grundrechte der Betroffenen verletzt hätten, vermieden werden konnten. Somit ist nicht das Kirchenasyl verfassungsrechtlich problematisch, vielmehr stellt es ein Korrektiv zu den staatlichen Abschiebeentscheidungen dar.«

Die quantitativen Ergebnisse des Forschungsprojektes auf Grundlage der Auswertung tausender von Medienberichten zwischen 1993 und 2013 zum Thema Abschiebungen haben gezeigt, dass es in der Bundesrepublik Deutschland neben dem nun viel diskutierten Kirchenasyl ein breites Spektrum an Akteuren und Protestformen gibt: Dies reicht von Betroffenen, die sich ihrer eigenen Abschiebung widersetzen über Demonstrationen von Schulklassen und Sportvereinen oder Protestaktionen gegen Sammelanhörungen bis hin zu Piloten, die nicht an Abschiebeflügen mitwirken wollen. Der Protest ist zumeist lokal verankert und findet eine starke gesellschaftliche Zustimmung.

Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien der Universität Osnabrück (IMIS)

Unterstütztung von Edith Siegenthaler, Stadträtin SP

Ich wünsche mir eine Schweiz, die sich konsequent auf die Seite von Geflüchteten stellt, so wie das die reformierte Kirche Belp tut. Kein Staat ist verpflichtet, geflüchtete Menschen in Dublin-Staaten zurückzuschaffen. Behörden, die das trotzdem tun, stellen politische Opportunität und Formalismus über Menschlichkeit.

Edith Siegenthaler, Stadträtin, Co-Präsidentin SP Stadt Bern

„Gnadenfrist für die Eritreerin und ihren Sohn“, Bund print, 5.11., S. 23

Die Kirche Belp-Belpberg-Toffen gewährt einer jungen Frau und ihrem Sohn Kirchenasyl. Gestern hätten die beiden nach Italien ausgeschafft werden sollen. Das ist nun nicht passiert. Offenbar hat der Kanton eine neue Frist gesetzt. Das Pfarrteam will weiterkämpfen.

Anita Bachmann, Dölf Barben

Er sei sehr erleichtert, sagte Pfarrer René Schaufelberger gestern Abend. Den ganzen Tag musste das Pfarrteam der Reformierten Kirche Belp-Belpberg-Toffen damit rechnen, dass die 29-jährige Eritreerin und ihr 8-jähriger Sohn von der Polizei abgeholt und nach Italien ausgeschafft werden (siehe «Bund» von gestern). Doch es kam anders: Das kantonale Amt für Migration und Personenstand hat die Frau gestern Abend offenbar über einen «neuen Gesprächstermin» am 24. November informiert. Für Schaufelberger heisst das, dass die Ausschaffung vorläufig nicht vollzogen wird. Die Information sei mittels E-Mail an den Rechtsvertreter der Eritreerin gerichtet worden.

Die Reformierte Kirche Belp-Belpberg-Toffen, die der Frau und ihrem Sohn Kirchenasyl gewährt, will verhindern, dass die beiden nach Italien ausgeschafft werden. Wegen traumatischer Erlebnisse auf der Flucht seien sie dringend auf psychiatrische Behandlung angewiesen. Diese aber sei in Italien nicht gewährleistet. Mit der Fristverlängerung werde das Problem nicht gelöst, sagte Schaufelberger gestern Abend. «Wir haben jetzt aber etwas Luft.» Das Ziel bleibe, die Ausschaffung zu verhindern. Man versuche nun zu erreichen, dass die Eritreerin in der Schweiz ein Asylgesuch stellen könne.

In der Belper Kirche geht man davon aus, dass der gestrige Tag der letztmögliche Termin für die Ausschaffung war. Schaufelberger vermutet aber, dass der Kanton das anders sieht und die Frau als untergetaucht einstuft. Wenn Flüchtlinge untertauchen, verlängert sich der Zeitraum, in dem sie ausgeschafft werden können. Laut Schaufelberger ist die Frau aber nie untergetaucht.

Bewegung im Welschland

Im Kanton Waadt versuchen Aktivisten seit längerer Zeit, Flüchtlinge in grösserer Zahl vor einer drohenden Ausschaffung zu beschützen. Bei über hundert Personen hat etwa das Collectif R bisher versucht zu verhindern, dass sie als so-genannte Dublin-Fälle nach Italien, Ungarn oder Frankreich ausgeschafft werden. Stellt in der Schweiz jemand Asyl, wird überprüft, ob die Person nicht schon in einem anderen europäischen Land registriert ist. Falls ja, hat die Schweiz genau ein halbes Jahr Zeit, die Person in das betreffende Land zurückzuschaffen. Wenn die Frist verstreicht, wird die Schweiz zuständig, das Asylgesuch zu behandeln.

Mit der Bewegung im Kanton Waadt sei die Aktion in Belp nicht vergleichbar, sagte René Schaufelberger. Man sei zufällig auf diesen Fall gestossen. Trotzdem sei es aber mehr als ein Einzelfall. Nebst der seelsorgerischen Dimension gebe es auch eine ethische, sagte er.«Unser Handeln richtet sich nicht gegen den Staat, wir geben ihm aber die Möglichkeit, ethisch zu handeln.»

Kirchenasyl im Kanton Bern: Die Kirche muss nicht neutral sein

Die Diskussion ums Kirchenasyl wurde vor 20 Jahren intensiv geführt. Der Regierungsrat selber hat aufgezeigt, was die Kirche «darf».

1993 hatte der Kirchgemeinderat Mönchenbuchsee-Moosseedorf eine Familie aus Kosovo-Albanien ins Kirchenasyl aufgenommen. Zwei Kirchgemeindemitglieder erhoben dagegen Beschwerde. Behandelt wurde sie schliesslich vom Regierungsrat. Dieser kam zum Schluss, der Kirchgemeinderat habe rechtmässig gehandelt. In der Begründung des Entscheids (21. September 1994) holte der Regierungsrat weit aus. Schon im Alten Testament sei die Rede von Zufluchtsstätten, schrieb er, wo Straftäter bis zur ordentlichen Gerichtsverhandlung Unterschlupf fanden, um sie vor «ungesetzlicher Volksjustiz» zu schützen. Im Mittelalter hatten Kirchen oder sogar bestimmte Gasthöfe diese Funktion. Es stehe denn auch «in einer alten bernischen Tradition», schrieb der Regierungsrat, «wonach der Kirche seitens der Obrigkeit aufgetragen wurde, darüber zu wachen, ob im öffentlichen Handeln den christlichen Geboten Nachachtung verschafft werde».

Seit die Obrigkeit rechtsstaatlichen Prinzipien verpflichtet ist, existiert Kirchenasyl im rechtlichen Sinn nicht mehr. Das Kirchenasyl ist deshalb gemäss Regierungsrat «nicht als Gewalt- oder Widerstandsinstrument gegen den Rechtsstaat zu verstehen». Auch seien Kirchengebäude keine rechtsfreien Räume. Die Aufnahme abgewiesener Flüchtlinge werde «vielmehr als eine Mahnung verstanden und als Aufruf an die staatlichen Behörden, ihre Asylpolitik zu überprüfen». Meinungsverschiedenheiten ergäben sich deshalb, weil die Situation in einem Rückschaffungsland verschieden eingeschätzt werde. Solche Differenzen müssten «in einem demokratisch aufgebauten Gemeinwesen» möglich sein und im Rahmen der Rechtsordnung ausgetragen werden können.

Weiter hielt der Regierungsrat fest, die Kirche habe sich – im Gegensatz zu den staatlich-öffentlich-rechtlichen Körperschaften – «nicht am Grundsatz der innenpolitischen Neutralität zu orientieren». Obschon die Kirchen staatlich anerkannt seien, «müssen sie sich vom Staat nicht auf politische Abstinenz, Stillhalten oder Neutralität verpflichten lassen». Die Kirche sei schliesslich den ethischen Grundhaltungen der christlichen Botschaft verpflichtet. Allerdings, heisst es im Entscheid: Einen Rechtsbruch werde der Staat immer verfolgen müssen, «auch wenn die Handlungsmotivation religiöser Natur war». Es sei dann aber an der Strafjustiz zu beurteilen, wie weit die Rechtfertigungsgründe die Schuld verminderten. (db)

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